Hinweis: In der Kategorie Kolumne
bieten wir eine Plattform für einzelne Mitglieder:innen, ihre ganz persönliche Meinung – durchaus auch einmal sehr pointiert – zu äußern und zu veröffentlichen. Dabei handelt es sich aber weder um die offizielle Meinung der Fraktion noch des Ortsverbands.
Neulich im Bauausschuss: Es ging um den kleinen Satz „Nassabbau soll nur im Ausnahmefall erfolgen“ aus dem Regionalplan 18 (http://2be.legal/2022/824) „Dann erklärt das Landratsamt halt die Sache zur Ausnahme“ antwortete die Stadtbaumeisterin, als Stephan Schinko dieses Argument gegen eine Genehmigung des Nassabbaus ins Feld führte.
Es mag sein, dass dies die Wiedergabe einer – womöglich sogar frustrierenden – Erfahrung war. Vielleicht war es aber auch die Rechtsansicht unserer Verwaltung. Tatsächlich offenbart diese Aussage ein deutliches Missverständnis von dem, was man als „Ermessensspielraum“ bezeichnet.
Die Ausnahme ist ein Abweichen von der Regel
Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.
(Wikipedia-Wissen) Carl Schmitt, 1922, ein sehr streitbarer Rechtsgelehrter mit einer höchst kritischen NS-Vergangenheit.
Etwas zu einer Ausnahme zu erklären heißt, etwas als nicht regelgerecht zu bezeichnen. Wer das tut, setzt sich quasi über die Regel hinweg. Das ist ein hoheitlicher Akt und bedarf guter Gründe. Das macht man nicht mal einfach so. Carl Schmitt freilich sieht das im Großen, in einer verfassungsrechtlichen Dimension. Er spricht von „Ausnahmezuständen“, wohl eher wie in einer Pandemie oder in einem Krieg oder einer Wirtschaftskrise. Situationen, die alles überlagern und Gesetze oder sogar Grundrechte relativieren.
Von solch großen Themen ist in unserem Beispiel nicht ansatzweise die Rede. Hier ist die Ausnahme sogar in der Regel mit vorgesehen („nur im Ausnahmefall“). Vergleichbar sind die Fälle insofern, als Ausnahmesituationen im Großen wie hier auch im Kleinen nicht eigens definiert oder aufgezählt werden. Ausnahmen sind dann eben nur die unvorhersehbaren Fälle, die Abweichungen von dem, was ohnehin schon geregelt ist. (Das gibt es auch anders, mit klaren Ausnahmelisten z.B.)
Und damit komme ich zu einem entscheidenden Punkt: Im Regionalplan steht nämlich zunächst „Im Interesse eines sparsamen Verbrauchs von Flächen und Rohstoffen soll auf einen möglichst vollständigen Abbau der Rohstoffe hingewirkt werden.“ Dennoch heißt es im Anschluss „Nassabbau soll nur im Ausnahmefall erfolgen“.
Hier greift ein einfacher Mechanismus: Wenn in der Norm ein Fall bereits als Regelfall vorgesehen ist, dann kann er nicht gleichzeitig eine Ausnahme sein. Die Ansage „Wir wollen Flächenverbrauch vermeiden“ taugt also genau nicht als Begründung für einen Ausnahmefall, denn die Vermeidung von Flächenverbrauch ist ja bereits Teil der Regel. Der Normgeber hat hier selbst eine Werteentscheidung getroffen: Flächenverbrauch vor Nassabbau. Da müssen dann schon andere Begründungen her. Und die findet man schwer, solange deutlich mehr Fläche für den Trockenabbau verfügbar ist.
Es ist ein klassischer Fehler, der immer wieder auch von Profis gemacht wird: Zur Begründung eines Ausnahmefalles wird ein Umstand herangezogen, der im Regelwerk bereits als Normalfall definiert wird. Wer diesen Fehler macht, wer Regel und Ausnahme nicht unterscheiden kann, verkennt den Ermessensspielraum. Und wer diesen Spielraum nicht kennt, kann ihn auch nicht rechtskonform nutzen. Eine so getroffene Entscheidung ist dann rechtswidrig.
Nassabbau allein zur Vermeidung von Flächenverbrauch ist schlicht nicht zulässig. Der Normgeber hat entschieden, dass Nassabbau eben ein heftigerer Eingriff ist als der Trockenabbau in der Fläche. Das ergibt auch Sinn, da beim Trockenabbau die Fläche wieder risikolos renaturierbar ist. Beim Nassabbau ist das Risiko fürs Grundwasser ungleich höher und am Ende bleibt de facto ein Loch in der Landschaft. Diese Werteentscheidung des Normgebers kann nicht einfach durch eine Ausnahmeregel von der Verwaltung auf den Kopf gestellt werden.
Sollen ist nicht dürfen+ sondern müssen−
Und wenn wir schon beim Philosophieren sind, hier noch ein verwandtes Thema. Es ist in den letzten zwei Jahren immer mal wieder aufgeschlagen. Die Frage, was bedeutet „sollen“. Das wird dann doch schnell mal mit „dürfen“ gleichgesetzt nach dem Motto „kann man machen, kann man aber auch lassen.“
Wenn das so wäre, bräucht’s das Wörtchen „sollen“ nicht. Es ist es aber auch nicht so:
„Soll“ bedeutet im Recht „muss – mit Ausnahmen“. „Soll nicht“ bedeutet „darf nicht – mit Ausnahmen“. Die Regel ist also zwingend, es sei denn, ein (begründeter) Ausnahmefall liegt vor. Wer vom Regelfall abweicht, muss einen guten Grund für die Ausnahme nennen. Und damit gilt das oben Gesagte: Der Grund für eine Ausnahme kann genau nicht in etwas liegen, was der Normgeber schon als Regel definiert hat.
Wer also „sollen“ eher wie „dürfen“ und nicht wie „müssen“ behandelt, handelt ermessensfehlerhaft. Wer den Unterschied nicht kennt, entscheidet schlicht restwidrig.
Fun Fact am Rande
„Nassabbau soll nur im Ausnahmefall erfolgen“ ist, wie man so sagt, doppelt gemoppelt. Die schlichte Formulierung „Nassabbau soll nicht erfolgen“ sagt eigentlich – rechtslogisch – dasselbe: „Nassabbau darf nicht erfolgen, es sei denn, es liegt eine begründete Ausnahme vor.“ Das andere klingt nur irgendwie netter.